Published August 14th, 2020

Das Wohnen wird wichtiger

Housing becomes more important

Transcript in German:
Jens Hagedorn, Melanie Kloth & Tobias Scholz,
June 19 2020

Housing in large cities in Northrhine-Westfalia are the focus of our fifth City Talk. As a consequence of the current crisis, some issues remain, others are reinforced, new opportunities pop up. We discuss them from three instituitional perspectives. The discussion shows: Long-term developments are only interrupted for a short moment. Green and open spaces are crucial for a successful development of cities and their housing markets. The text presents an abbreviated version of the talk.

Das Wohnen in Großstädten in Nordrhein-Westfalen steht im Mittelpunkt des fünften Stadtgesprächs. Aus drei institutionellen Perspektiven erörtern wir, welche Themen während der Pandemie wichtig bleiben, welche Tendenzen die aktuelle Krise verstärkt und welche Chancen sich bieten. Die Diskutierenden sind sich einig: Längerfristige Trends sind allenfalls kurzfristig unterbrochen. Freiräume sind zentral für eine erfolgreiche Wohnungsmarkt- und Stadtentwicklung. Der Text ist eine gekürzte Fassung des Gesprächs.

Die soziale Dimension des Wohnens rückt durch die Pandemie noch stärker in den Blick. Welche Herausforderungen erleben Sie zurzeit bei den Mieter:innen unter dem Brennglas der Krise?

Tobias Scholz: Eine Sache ist, dass man die Bedeutung der unterschiedlichen Wohnverhältnisse bemerkt. Wenn ich zuhause bleiben muss, mich mit acht Personen in der Wohnung aufhalte, dann wird schnell klar, wie essentiell die Wohnung ist und dass sie nicht nur ein Konsumgut ist. Je mehr finanzielle Mittel man hat und je mehr sich das im Wohnen niederschlägt, desto einfacher kommt man durch so eine Situation. Deswegen ist die Frage, was gute Wohnverhältnisse sind, was Mindestwohnverhältnisse, gute Wohnstandards, gute Wohnbedingungen sind, sehr deutlich geworden.

Die Leute, die eine günstige Wohnung haben, geben sie im Moment nicht mehr her. Das ist ein ganz klarer Anspannungsindikator.

Jens Hagedorn 06/2020

Von den Anfragen, die wir haben – das sind Fragen wie: Was mache ich bei Kurzarbeit? Wie muss ich mit dem Vermieter umgehen? Was mache ich, wenn ich die Miete nicht zahlen kann? – da haben wir versucht, den Leuten die Information zu geben, was sie tun können. Das waren Themen, die da waren, aber es ist nicht so, dass wir überrollt worden sind. Ein Teil der Leute scheint es dann mit Kurzarbeitergeld oder neu beantragtem Wohngeld selber hinzubekommen und wir fragen uns, ob das dann später kommt, da die Sonderregelungen Ende Juli auslaufen. Dabei sind die Pandemie und die Folgen nicht zu Ende. Wir halten eine Verlängerung der Kündigungsschutzregeln als Basissicherung für notwendig. Man wird auch einen Fonds für die Folge- und Altschulden haben müssen, denn die Leute, die die Miete jetzt nicht zahlen können, können dies auch nicht in absehbarer Zeit.

Wie ist die städtische Perspektive zum Grundbedürfnis Wohnen? Haben Sie neue Themen entdeckt? Welche Themen haben an Brisanz gewonnen?

Jens Hagedorn: Bielefeld ist eine Stadt, die seit über 15 Jahren den Wohnungsmarkt sehr intensiv beobachtet. Wir sind froh, dass wir letztes Jahr Wohnungsbauförderungen in einer Größenordnung von 40 Millionen generieren konnten. Wir haben seit diesem Jahr eine Zielvereinbarung mit dem Land, die sich in einer ähnlichen Größenordnung bewegt, 35 Millionen pro Jahr. Das sind aus unserer Sicht wichtige Rahmenbedingungen. Bielefeld gehört zu den Städten, die erst letztes Jahr in die Mietenstufe 4 des Landes NRW gekommen ist. Erst seitdem haben wir einen deutlichen Aufwind in der Wohnungsbauförderung, weil natürlich auch für die Investoren die Konditionen passen müssen. Wir haben in Bielefeld seit fünf Jahren eine Quote für geförderten Wohnungsbau bei neuen Bauleitplanverfahren. Das heißt, wir zwingen unsere Investoren zum geförderten Wohnungsbau. Seitdem wir die besseren Förderkonditionen haben, macht das den Investoren deutlich mehr Spaß.

Ich hoffe, dass sich die Pandemie etwas preisdämpfend auf den Markt auswirkt. Inzwischen habe ich aber Rückmeldung von Projektentwicklern, die gehen alle in eine andere Richtung. Wir sehen als Stadt Bielefeld, dass wir vermehrt geförderten Wohnungsbau umsetzen und dabei trotzdem den frei finanzierten Wohnungsbau nicht aus den Augen verlieren. Wir haben seit einem Jahr einen Baulandbeschluss, eine Baulandstrategie, wie Münster. Da versuchen wir von städtischer Seite Baulandentwicklungen wieder anzustoßen.

Das Thema Wohnprojekte wird die Versorgungsfrage nicht lösen. Man müsste jetzt bauen, um in 20 Jahren das Segment der kommunalen Wohnungen langfristig erhöht zu haben.

Tobias Scholz 06/2020

Das Thema Bezahlbarkeit im Wohnen ist sicher etwas, das an Bedeutung gewinnt, weil mit der gesundheitlichen Krise auch soziale und wirtschaftliche Folgen einhergehen. Wie blicken Sie darauf aus Landesperspektive?

Melanie Kloth: Seit 2012 gibt es in NRW einen stetigen Anstieg der Mieten und der Preise. Dieser Aufwärtstrend ist in den einzelnen Regionen zeitversetzt gestartet. Es gibt Regionen mit weiterhin moderatem Preis- und Mietniveau, mit einer geringen Dynamik. Aber es gibt auch Regionen, an der Rheinschiene, Münster und zunehmend andere Städte wie zum Beispiel Bielefeld, wo es eine starke Steigerung gibt. Zuletzt ist die Bautätigkeit gestiegen. Wir haben mittlerweile ein sehr hohes Niveau erreicht in NRW. Das hat Potenzial, sich entspannend auf die Märkte, Mieten und Preise auszuwirken. Wir stellen aber fest, dass das noch nicht überall ankommt. Wenn man die Einkommenssituation anschaut, sieht man, dass auch die durchschnittlichen Einkommen in den letzten Jahren stetig gestiegen sind, so dass für viele Haushalte steigende Wohnkosten kein Problem darstellen. Was wir gleichzeitig aber sehen: Die Spaltung der Einkommen hat weiter zugenommen. Das heißt, wir haben nach wie vor eine stabile Gruppe von Menschen mit einem geringen, unteren bis mittleren Einkommen und auch Menschen mit Transferleistungsbezug, die von der positiven Einkommensentwicklung nicht profitieren und die zunehmend Schwierigkeiten bekommen, für sich etwas Bezahlbares zu finden. Wer umziehen muss, wird jetzt schon vielerorts Schwierigkeiten haben, etwas Bezahlbares zu finden. Das wird zukünftig eher noch schwieriger werden, weil noch mehr Menschen günstigere Wohnungen suchen. Deutlich wird, die Wohnraumförderung von Land und NRW.BANK bleibt wichtig.

Wer umziehen muss, wird jetzt schon vielerorts Schwierigkeiten haben, etwas Bezahlbares zu finden.

Melanie Kloth 06/2020

Wie nehmen Sie die Rolle von Bezahlbarkeit wahr, die ökonomischen Perspektiven der einzelnen Haushalte, die sich aber auch in einer Stadt unterschiedlich verteilen?

Tobias Scholz: Da kann ich bei Frau Kloth anschließen. Wenn ich ein geringeres Budget habe, habe ich die Wohnung in der schlechten Lage und auch schlechter ausgestattet. Die Leute haben hohe Energieverbräuche, da sie mit dem Budget nur eine Wohnung anmieten können, die keine gute energetische Ausstattung hat. Wer mehr Budget hat, der meidet diese Wohnungen, der würde die nie nehmen. Andere können sich das nicht aussuchen. Deswegen spielt das Thema Bezahlbarkeit eine große Rolle. Wir haben hier in der Stadt eine Debatte über geförderten Wohnungsbau und auch über kommunalen Wohnungsbau. Wir haben das Problem der aus unserer Sicht zu kurzen Bindungsfristen. Die neuen Richtlinien erlauben immerhin 30 Jahre. Das ist, wenn man sich die Lebensdauer eines Gebäudes anschaut, nur ein kleiner Teil. Es ist sehr schwer, da wirklich Schwung reinzubekommen. Das ist sehr mühsam. Wir kriegen immer mit, wenn Wohnungen aus den Bindungen fallen und sich in das Marktmietniveau eingliedern. Dann hilft die Kappungsgrenze für die Bestandsmieter, aber der Effekt ist zeitlich begrenzt. Deswegen sind immer Akteure wichtig, die auch langfristig dabei sind. Wir haben keine Wohnungsgemeinnützigkeit mehr. Wir haben nicht mehr die hohen Zahlen an geförderten Wohnungen. Deswegen schlagen diese Anspannungseffekte auch viel stärker durch. Das ist politisch nicht innerhalb von drei Jahren zu beantworten, man müsste jetzt bauen, um in 20 Jahren das Segment der kommunalen Wohnungen langfristig erhöht zu haben.

Es gibt immer jemanden, der dagegen ist. Es gibt den starken Blickwinkel auf sich, dass man schon wohnt und die, die eine Wohnung brauchen, tauchen dann nicht auf.

Tobias Scholz 06/2020

Sie bringen hier bewusst eine zeitlich viel längere Perspektive ins Spiel. Gibt es andere Formen von Bestandshaltern, die man stärken kann, die sich vielleicht auch neu entwickeln?

Jens Hagedorn: In Bielefeld ist das auch ein intensives Thema. Eine Zahl dazu, die uns wirklich Sorgen macht: Wir haben eine Fluktuationsrate im geförderten Wohnungsbau der großen Unternehmen von nur 3,5 %. Die Leute, die eine günstige Wohnung haben, geben sie im Moment nicht mehr her. Das ist ein ganz klarer Anspannungsindikator. Wie schon erläutert, versuchen wir unsere Bestände an Sozialwohnungen wieder anzuheben. Wir hatten früher 30.000, jetzt sind wir stolz darüber, dass wir letztes Jahr wieder die 12.000 überschritten haben. Wenn wir jedes Jahr 350 fördern würden, wie wir uns vorgenommen haben, dann führt das nicht zu einer großartigen Steigerung, weil jedes Jahr eine entsprechende Zahl aus den Bindungen hinausfallen wird. Die Wohnungen sind nicht weg, aber sie sind dann nicht mehr in der Mietbindung und die Mietkosten können alle drei Jahre um 15 % angehoben werden. Diese Wohnungen werden perspektivisch teuer werden. Wir sehen das Problem auf uns zukommen: Bis 2027 haben wir nur noch rund 8.000 Wohnungen nach heutiger Bindungsauswertung. Da müssen wir intensiv dagegen arbeiten, um das wieder aufzustocken. Wir bewerben das Thema intensiv bei privaten Investoren. In Bielefeld ist ein Drittel der Wohnungsbauförderung mit privaten Investoren umgesetzt. Das sind oft Leute, die nur die 20 Jahre im Blick haben und froh sind, wenn es wieder vorbei ist. Das ist schwierig, in der Praxis umzusetzen; wir versuchen, das über die Baulandstrategie zu beeinflussen.

Wie reagieren die Bau- und Immobilienwirtschaft oder auch die Finanzierung auf die aktuelle Krise? Was lässt sich an Dynamik beobachten?

Melanie Kloth: Klar ist, dass wir im März und April eine große Verunsicherung hatten; das ist auch in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft angekommen. Inzwischen hat sich das Ganze beruhigt. Es zeigt sich, dass der Wohnungsmarkt eher nachgelagert ist. Es gab im März und April einen deutlichen Rückgang an Nachfrage nach Neubauwohnungen, weil sich keiner vorstellen konnte eine Wohnungsbesichtigung zu machen. Das hat sich stabilisiert. Gemeinsam mit dem Verband der nordrhein-westfälischen Wohnungswirtschaft haben wir im März und April zwei Befragungen der Mitglieder gemacht. Wir haben gefragt: Wie viele Stundungen von Mietern kommen an? Wie wirkt sich das auf eure Investitionstätigkeit aus? Was erwartet ihr? Nach der ersten Verunsicherung hat sich das im April bereits wieder etwas beruhigt.

Der Neubau geht weiter. Das ist ein langfristiges Geschäft. Was jetzt gebaut wird, ist vor fünf bis sieben Jahren geplant worden. Das läuft weiter, genauso Instandhaltung und Modernisierung, weil die institutionalisierte Wohnungswirtschaft natürlich weiß, dass sie in ihre Bestände investieren muss, um den Wert zu erhalten. Anders sieht es bei kleineren privaten Investoren aus, die den größten Teil des Bestandes an Mietwohnungen in NRW besitzen. Das sind Menschen, die mal ein Haus gebaut oder gekauft haben, um damit perspektivisch ihre Altersvorsorge zu sichern. Wenn es da bei der Einkommensseite unsicherer wird, ist die Überlegung, Investitionen zurückzuhalten. Das ist etwas, was wir jetzt noch nicht abschätzen können.

Welche Tendenzen und Dynamiken werden auf die Stadt Bielefeld zukommen? Auf was müssten Sie sich vorbereiten, 2021/22, aus heutiger Perspektive geschaut?

Jens Hagedorn: Aus unserer Sicht sind die Herausforderungen der nächsten ein bis zwei Jahre genauso wie vor Corona. Da ändert sich nicht viel. Wir wissen, dass wir nicht so viel fördern können, wie wir müssen. Von daher versuchen wir alles Mögliche umzusetzen. Wir versuchen über die Baulandstrategie vermehrt an städtische Grundstücke zu kommen, auf denen auch größere Quoten an Förderung möglich wären. Gleichzeitig wissen wir, dass wir nicht Problemquartiere der Zukunft schaffen wollen. Wir wollen nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Wir sind heute stolz darauf, dass die geförderten Objekte sich über das gesamte Stadtgebiet verteilen; denen sieht man nicht mehr an, dass sie gefördert sind. Heute fördern wir eher Einzelobjekte, nicht mehr so riesig. Über vier Geschosse dürfen wir sowieso nicht gehen. Wir würden gern so weiter machen. Wir hoffen auf gute Förderergebnisse, um den Menschen, die sich nicht eine teure Wohnung leisten können, Alternativen zu bieten. Gleichzeitig gibt es auch innovative Wohnformen, die wir fördern. Wir haben über zehn geförderte und freie Wohnprojekte, die realisiert wurden.

Man spürt, wie differenziert das Instrumentarium ist, mit dem Sie hantieren. Herr Scholz, wenn Sie in die Zukunft schauen, Dynamik am Wohnungsmarkt: Sie sind in einer großen Großstadt unterwegs, mit einem sehr differenzierten Bild…

Tobias Scholz: Das Thema Wohnprojekte ist eines, das die Stadt Dortmund auch unterstützt und das wir positiv begleiten. Aber es wird keine Masseneffekte haben, es wird die Versorgungsfrage nicht lösen. Vielfalt am Wohnungsmarkt ist wichtig, aber für Versorgungsfragen oder Bezahlbarkeit sind andere Dinge entscheidend. Dortmund und Essen als Beispiel, ähnlich große Städte, mit einem ähnlich angespannten Wohnungsmarkt: Die Kosten der Unterkunft unterscheiden sich für einen 1-Personen-Haushalt um 90 Euro, was nicht nachvollziehbar ist. Das macht viel aus, was jemand anmieten kann und wo er sich im Stadtraum eine Wohnung leisten kann.

Die Flucht ins Betongold würde ich jetzt wieder erwarten. Denn Geld ist da, auch wenn es krisenhaft scheint.

Melanie Kloth 06/2020

Hinsichtlich der Krise fand ich interessant, wie sich die Großen überboten haben, wer mieterfreundlicher ist, wer Mieterhöhungen aussetzt. Vonovia, LEG haben große Pressemitteilungen gehabt. Es war fast ein Wettbewerb: Wer lässt die Mieter besser durch die Krise kommen? Es gibt viele Beteuerungen für die Mieter, aber es gibt ein klares Geschäftsmodell und das ist eines am internationalen Kapitalmarkt. Die großen Wohnungsbestandhalter kommen definitiv besser durch die Corona-Krise als die Einzelvermieter. Die können Sachen abpuffern und Gewinne über Höherbewertung ihrer Immobilien bewirtschaften. Das kann ein Einzeleigentümer nicht. Die Frage ist allerdings: Was passiert auf lange Sicht? Die Wohnungswirtschaft profitiert im Moment von dem günstigen Geld und tätigt Investitionen. Wie entwickelt sich das? Es könnte sein, dass Akteure, die weniger gut mit den Beständen umgehen, wenn sich Wohnungsmärkte entspannen, Schwierigkeiten haben, die Wohnungen zu vermieten. In der Zukunft könnte es wieder stärker als bisher das Thema der vernachlässigten Siedlungen geben, die es ja aktuell auch noch gibt.

Die Rolle von verfügbarem Geld in den Finanz- und Kapitalmärkten hängt stark mit Entwicklungen außerhalb Deutschlands zusammen, mit überregionalen bis globalen Trends.

Melanie Kloth: Wenn man den Blick in die Glaskugel vermeiden will, ist der Blick in die Vergangenheit gut. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich ab 2010 richtig ausgewirkt hat, hat man genau das gesehen: die Flucht ins Betongold. Da sind Immobilien eine Geldanlage, die nicht immer die größten Renditen abwirft im Vergleich zu Aktien, die aber stabil ist und langfristig. Damals haben sehr viele angefangen, in dieses Segment zu investieren, von außerhalb von Deutschland, auch von Europa, Kapitalanleger in kleinerem und größerem Stil, Immobilienfonds. Das würde ich jetzt wieder erwarten. Denn Geld ist da, auch wenn es krisenhaft scheint. Es gibt viele Player, die Geld haben: Immobilienfonds, die das Geld einsammeln von Privaten, von denen ja nicht alle betroffen sind von Verdiensteinbußen. Es gibt nach wie vor viele, denen es wunderbar geht mit ihrem Einkommen. Versorgungswerke, Pensionskassen, da ist viel Geld unterwegs und da sind Immobilien wieder ein gutes Anlageobjekt. Gleichzeitig ist es so, dass seit der Wirtschaftskrise die Zinsen runtergepurzelt sind auf ein Niedrigniveau und es war schon vor Corona so, dass nicht absehbar war, dass das Zinsniveau in naher Zukunft steigt. Jetzt sieht es eher danach aus, dass es weiter niedrig bleibt, sodass es auf Finanzierungseite nach wie vor sehr günstig ist für alle, die in den Wohnungsbau oder in den Erwerb von Wohnimmobilien investieren wollen. Das wird sich regional unterschiedlich darstellen und da wird es drauf ankommen, wie sich das auswirkt, aber erstmal ist die Nachfrage da.

Es bleibt langfristig gut angelegtes Geld – vor dem Hintergrund einer insgesamt größeren wirtschaftlichen Unsicherheit. Zugleich merken wir, dass es eine verstärkte Sensibilität für die Qualität des Wohnens gibt. Auch jemand mit Betongold möchte laufende Einnahmen haben. Daher die Frage: Was ist mit den Mieter:innen, die auswählen können? Welche Wohnformen und Lagequalitäten sollten wir stärker in den Blick nehmen?

Tobias Scholz: Ich würde gerne auf den Freiraum eingehen, der eine große Rolle spielt, wie wir in der Pandemie gemerkt haben. Wo man spazieren gehen durfte, wie im Stadtwald in Dortmund, dort war es voll. Was mache ich mit dem Freiraum, auch mit Blick auf den Klimawandel? Wir haben immer wieder Debatten über Nachverdichtung und Wohnungsbau und egal was passiert, es gibt immer jemanden, der dagegen ist. Es gibt den starken Blickwinkel auf sich, dass man schon wohnt und die, die eine Wohnung brauchen, tauchen dann nicht auf. Das ärgert uns als Mieterverein. Für uns ist es wichtig, insbesondere für bezahlbaren und geförderten Wohnungsbau einzustehen, aber nicht ohne Freiraumkonzepte mitzudenken. Man braucht qualifizierte Prozesse an der Stelle und man braucht ein Konzept für Freiraumentwicklung und Sicherung von Qualitäten. Was gibt es in neuen Wohnquartieren für Freiräume, was gibt es für öffentliche Räume und Plätze? Wenn alles zugebaut ist, weil man noch fünf Prozent mehr Wohnungen schaffen will und ich übersehe diese Dinge, das würden wir als nachteilig sehen. Es gibt in Dortmund das Projekt Phoenix in Dortmund-Hörde, den bekannten See, aber auch die andere Hälfte: Phoenix West mit dem Gewerbegebiet für Mikrosystemtechnik. Da gibt es einen Freiraumbereich und der wird genutzt. Wenn man gesagt hätte: Hier pflastern wir alles zu mit Gewerbe, dann würde es das nicht geben. Darauf muss man achten, um Wohnen in der Stadt langfristig attraktiv zu halten. Wir hatten eine Wanderungsmotivuntersuchung in Dortmund, die die Stadt in Auftrag gegeben hat, und da ist dieses Thema Freiraumqualität. Wenn Leute wegziehen, geht es häufig darum, dass sie das nicht haben. Sie schätzen an der Stadt die Versorgungslagen, die zentralen Orte. Wie ich das verbinden kann, das ist die Herausforderung.

Wir wollen nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Wir sind heute stolz darauf, dass die geförderten Objekte sich über das gesamte Stadtgebiet verteilen; denen sieht man nicht mehr an, dass sie gefördert sind.

Jens Hagedorn 06/2020

… im Sinne auch einer polyzentrischen Entwicklung, die ganz stark eine stadtregionale Landschaft miteinbezieht. Da haben Sie eigentlich ganz gute Voraussetzungen im Ruhrgebiet, für die kleinräumlichen differenzierten Lagen über die Stadtgrenzen hinaus.

Tobias Scholz: Innerhalb der Ruhrgebietsstädte gibt es dezentrale Strukturen neben den Kernstädten. Da nur auf die kleinere Kernstadt zu schauen, funktioniert nicht, man muss es anders denken: Wenn wir eine Mieterversammlung machen, werden Sie gefragt: „Fahren Sie jetzt zurück nach Dortmund?“ Die Leute leben viel in ihren Stadtteilen. In Bielefeld kann ich mir das auch vorstellen. In den großen, großflächigen Städten ist das so und da muss man im Einzelnen schauen, wie man die Lagen stärkt. Das ist im Einzelhandel schwierig, da brechen die Strukturen eher weg. Aber das zu versuchen ist wichtig – und genau da trotzdem Freiraumqualitäten hinzubekommen. Das ist eine Gratwanderung und da braucht man ein Konzept, eine Linie, sonst hält man das nicht durch. Wir haben ein Baugebiet, da ist ein Bebauungsplan mit Baurecht und die Leute haben die Einfamilienhäuser gebaut und jetzt kommt mit 15 Jahren Verzögerung der Geschosswohnungsbau. Da ist Unmut, dass das jetzt entsteht. So hat man sich das nicht vorgestellt. Da muss man dann durchhalten, dass auch gebaut wird. Man muss diese Debatten führen und aushalten.

Der größte Freiraum in der Stadt sind übrigens die Straßenräume. Hier braucht man einen neuen Blick, wie mehr Aufenthaltsqualität geschaffen werden kann.

Melanie Kloth 06/2020

Jens Hagedorn: Wir haben sehr ähnliche Themen wie Dortmund. Eigentlich haben wir gute Grundvoraussetzungen. Das versuchen wir mit der Stadtplanung weiter zu entwickeln und attraktive Quartiere zu schaffen. Wir haben im Moment ein großes Gebiet der Konversion als Entwicklungschance, innenstadtnah gelegen. Da hoffen wir, dass das positive Effekte hat. Bielefeld bekommt die medizinische Fakultät am westlichen Stadtrand. Auch da sind viele Naturschutzinitiativen dagegen und alle freuen sich, dass Bielefeld so grün ist und wollen gerne ihr Grün vor der Haustür behalten. Als Wohnungsbaubeauftragter bin ich in der Stadt unterwegs und halte Vorträge oder gehe in Bezirksvertretungen. Die Zielgruppe der Häuslebauer ist mittelfristig bei uns rückläufig. Demografisch betrachtet benötigen wir mehr Wohnungsbau für Senioren und insgesamt mehr Geschosswohnungsbau. Trotzdem werden Einfamilienhäuser noch stark nachgefragt. Wir haben gerade kaum Neubaugebiete, wo man ein Grundstück für Einfamilienhäuser kaufen kann und das wird politisch kontrovers diskutiert. Ich bin hin und hergerissen, zwischen den Zahlen und der Praxis, was tatsächlich nachgefragt wird. Das liegt auch daran, dass jede Familie, die es sich irgendwie leisten kann, immer noch vom Einfamilienhaus träumt.

Wir haben nicht nur die Flucht ins Betongold, wir haben eine starke Lust auf das innerstädtische Leben, auch wenn das mit Corona gerade gebremst abläuft. Wir müssten eigentlich als Indikator im Wohnungsmarktbericht mal die Biergartendichte erheben, die ist sehr hochgegangen. Wir lieben das alle, viel draußen zu sein. Dieser Trend zum innerstädtischen Wohnen, der wird ungebrochen sein. Das kann ich mir nicht vorstellen, dass jetzt alle Leute aufs Land ziehen wollen. Wobei wir davon ja auch reichlich hätten in NRW.

Wir haben eine starke Lust auf das innerstädtische Leben, auch wenn das mit Corona gerade gebremst abläuft. Wir müssten eigentlich als Indikator im Wohnungsmarktbericht mal die Biergartendichte erheben, die ist sehr hochgegangen.

Jens Hagedorn 06/2020

Neues Angebot kann auch neue Nachfrage schaffen. Man muss vielleicht diese innerstädtischen Qualitäten ein bisschen mehr und in anderen Lagen anbieten. Die Landesbrille für Wohnqualitäten- und Wohnfragen von Frau Kloth?

Melanie Kloth: Es gibt unterschiedliche Tendenzen. Das innerstädtische Wohnen ist nach wie vor beliebt bei unterschiedlichen Nachfragegruppen. Da müssen wir schauen, Qualitäten in den Städten zu schaffen. Der größte Freiraum in der Stadt sind übrigens die Straßenräume. Hier braucht man einen neuen Blick, wie mehr Aufenthaltsqualität geschaffen werden kann. Das haben wir gerade gesehen, dass die Leute froh waren, rauszugehen, auch auf die Straße, wo sie im Kontakt mit anderen Menschen waren, aber die räumlichen Abstände einhalten konnten. Dafür brauchen wir Platz in den innerstädtischen Quartieren. Wir müssen hier auf das Fahrradfahren, das Zufußgehen schauen und welche Vorteile dies für Lebensqualität in der Stadt mit sich bringt.

Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die sich in das Einfamilienhaus träumen und sich das auch verwirklichen, und zwar auch wieder stärker außerhalb der Städte; das wird auch durch die Preisentwicklung und die Begrenztheit des Bodenmarktes bedingt. Wo es in kleinere Zentren im Umland oder in der Fläche geht, spricht nichts dagegen, diese Trends zu stärken, dafür zu sorgen, dass wir dauerhaft durch gute Versorgungsinfrastrukturen eine gute Lebensqualität haben. Schwierig wird es, wenn das Einfamilienhaus irgendwo am Waldrand ist, wo es keine Versorgung gibt und wo wir das größere Pendelproblem morgens bekommen, was in den Städten dazu führt, dass die Lebensqualität dort nicht so hoch sein kann, wie wir uns das wünschen. Da gibt es beide Tendenzen und wir haben in den letzten Jahrzehnten gesehen, dass das immer auf- und abgeht. Das wird in Zukunft so weitergehen und es werden unterschiedliche Gruppen sein, die das eine oder andere bevorzugen oder sich leisten können – oder eben nicht.

Die Krise als Chance, das Thema Polyzentralität anzugehen, gute Wohnformen zu entwickeln, wo Menschen versorgt sind, in Gemeinschaft und leistbar ganz unterschiedlich zusammenleben können, das große Thema Freiraum, die Rolle des Wohnumfeldes, die Frage von Zugänglichkeit von Begegnungsräumen: Das sind Dinge, die wir heute mitnehmen.

Jens Hagedorn ist Teamleiter Wohnungsbauförderung und Wohnungsbaubeauftragter im Bauamt der Stadt Bielefeld. Davor konnte er langjährige Erfahrungen mit der kommunalen Wohnungsmarktbeobachtung sammeln.

Melanie Kloth ist Stadtplanerin. Nach Stationen in Forschung und Beratung leitet sie heute bei der NRW.BANK im Bereich Wohnraumförderung das Referat Wohnungsmarkt und Strategie. Unter anderem ist sie zuständig für die Wohnungsmarktbeobachtung in Nordrhein-Westfalen.

Dr. Tobias Scholz ist wohnungspolitischer Sprecher des Mietervereins Dortmund und Umgebung e. V. Er ist promovierter Raumplaner.