Published May 11th, 2020

Man spürt den Spirit dieses Dörflichen

You Feel the Spirit of the Rural

Transcript in German: Christine Bürger,
April 7 2020

The role of network coordination in the neighborhood in times of crisis: Christine Bürger is network coordinator in Cologne Dünnwald. She coordinates the various leisure and educational offers, help and services as well as support offers that are anchored in the neighborhood. She helps to promote social cohesion. We asked her about the current situation in Cologne Dünnwald.

Die Aufgabe der Netzwerkkoordination in Zeiten der Krise: Christine Bürger ist SeniorenNetzwerk-Koordinatorin in Köln-Dünnwald. Sie bündelt die unterschiedlichen Freizeit- und Bildungsangebote, Hilfe- und Dienstleistungen sowie Unterstützungsangebote, die im Quartier verankert sind. Sie ist mitten im Quartier aktiv und trägt dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Wir haben Sie zur aktuellen Situation in Köln-Dünnwald befragt.

Sketches from the interview with Christine Bürger, designed by Angelina Bolten for What/Next 2020

Wie erleben Sie die aktuelle Situation im Quartier?

Mein Eindruck ist, dass alle sehr entspannt mit der Lage in Dünnwald umgehen. Viele sagen: „Wir genießen die Sonne, wir gehen viel Spazieren. Einkaufen gehen wir auch noch selber.“ Die älteren Menschen sind eben doch sehr eigenständig unterwegs und halten ihre Routinen weiter aufrecht. Die Leute ziehen sich nicht komplett zurück. Vor allem im Wildpark und diesen Naherholungsgebieten, die Dünnwald zu bieten hat, sind sie alleine unterwegs. Die große Panik ist also nicht eingetreten. Was natürlich eingetreten ist, vor allem im Netzwerk, ist ein ziemlicher Stillstand was sämtliche Treffen, Aktivitäten und Begegnungen angeht, die normalerweise regelmäßig stattfinden und die sehr fest in den Alltag von einigen Menschen integriert sind. Das erlebe und merke ich auch bei meinen Telefonaten.

Gibt es andere Formen der Organisation, die jetzt die Begegnungen und Aktivitäten, die es sonst gibt, ausgleichen?

Ich versuche die Kommunikation durch Telefonate aufrechtzuerhalten und nachzufragen, ob dadurch, dass man sich nicht trifft, eine Art von Isolation einsetzt oder sich Menschen vielleicht abgehängt fühlen oder traurig werden. Ich höre ziemlich häufig, dass die Leute miteinander telefonieren, die sich sonst getroffen hätten. Das sind aber die, die sowieso relativ gut miteinander vernetzt sind und auch sonst miteinander gesprochen haben.

Das Gefühl des Zusammenhalts von Seiten der Gemeinden, aber auch darüber hinausgehend, ist in Dünnwald ein wichtiger Punkt, der das Quartier auszeichnet

Christine Bürger 04/2020

Welche Bedeutung und Funktion hat das Quartier für die Menschen, mit denen Sie arbeiten?

Ganz zentral für die Menschen in Dünnwald ist die Nähe zum Wald und dass sie die Möglichkeit haben, raus zu gehen, schnell in der Natur zu sein und sich dort zu bewegen –und dies auch relativ selbstständig und unabhängig ausleben können. Das Waldbad, das auch im Sommer sehr beliebt ist, ist zum Beispiel eine wichtige Einrichtung für die Leute. Ich glaube Dünnwald hat viele Angebote für die ältere Generation zu bieten, die normalerweise in Richtung „wir begegnen uns“ gehen. Also es gibt zum Beispiel das Café Mittendrin, das ist ein ökumenisches Projekt auf der Berliner Straße. Dort wird ein Raum der Begegnung für jedermann geschaffen. Ich denke, dass die Dünnwalder es sehr zu schätzen wissen, was aus unterschiedlichen Richtungen angeboten wird. Das Gefühl des Zusammenhalts von Seiten der Gemeinden, aber auch darüber hinausgehend, ist in Dünnwald ein wichtiger Punkt, der das Quartier auszeichnet.

Auf der Homepage vom SeniorenNetzwerk Dünnwald ist zu lesen: „Der Stadtteil Dünnwald ist ein Veedel mit Tradition: Gewachsene, alte Strukturen prägen den Stadtteil.“ Was bedeutet das konkret und gerade in Zeiten der Krise?

Dünnwald hat eine sehr lange Geschichte und ist schon über 900 Jahre alt. Der Stadtteil war lange ein Dorf und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts eingemeindet. Man spürt schon noch den Spirit dieses Dörflichen. Dadurch dass Träger, Vereine, Akteure, die es in Dünnwald gibt, schon so lange Zeit hatten, sich zu entwickeln, hat man da einfach eine gewisse Festigkeit an Strukturen, die sich im nachbarschaftlichen Miteinander ergeben haben. In Dünnwald sind viele Menschen schon lange in Einrichtungen tätig, sowohl ehrenamtlich als auch hauptamtlich, die sich dort ihren Platz erarbeitet haben und stolz drauf sind, dass sie für Dünnwald, für ihre Nachbar*innen und für das Miteinander tätig sein können. Ich denke, dass sich das gerade sehr auszahlt. Diese schon existierenden Netzwerke und Strukturen, die in der Nachbarschaft selbst organisiert werden, helfen in der aktuellen Situation.

Diese schon existierenden Netzwerke und Strukturen, die in der Nachbarschaft selbst organisiert werden, helfen in der aktuellen Situation.

Christine Bürger 04/2020

Haben sie das Gefühl, dass sich durch die aktuelle Situation Strukturen im Quartier langfristig verändern?

Ein ziemlich großes Problem ist es aktuell, dass viele Tafelausgabestellen aufgrund des Corona-Virus schließen müssen. Diese haben einfach nicht die Ressourcen, um das komplett umzustrukturieren und die Leute zuhause mit den Lebensmitteln zu beliefern. Es gibt den Donewald, das ist ein sozial benachteiligtes Quartier von Dünnwald, und da leben viele Menschen, die die Tafeln wahrnehmen. Die können sich gerade nicht mit Lebensmitteln versorgen. Diese Problematik verstärkt natürlich die Sichtbarkeit dieser sozialen Gruppe im Quartiersensemble. Ich stelle aber auch fest, dass diese Krise Chancen bieten kann, etwa, dass sich durch die Nachbarschaftshilfe Menschen begegnen, die sich normalerweise nicht begegnen würden. Es gibt in Dünnwald eine ziemlich markante Trennlinie, die Güterbahnlinie, die Alt-Dünnwald von dem Donewald-Teil trennt. Das ist auch sozial eine Trennlinie und die wird auch sehr stark wahrgenommen von den Bewohner*innen der Quartiere. Ich habe festgestellt, dass es da jetzt Überschneidungen durch die Nachbarschaftshilfe gibt, eine Entwicklung, die sonst vielleicht nicht angestoßen worden wäre. Ich denke, es ist eine schöne Entwicklung, die mir Hoffnung gibt, dass da vielleicht ein größerer Austausch und eine größere Akzeptanz stattfinden. 

Wie verändern sich Ihre Aufgaben in Zukunft? Was wird auf Sie zukommen?

Wenn die Krise überwunden ist, gehen wir alle erst einmal wieder mit sehr viel Motivation, Freude, Kraft und neuer Energie an die Arbeit und in die Begegnungen. Was die Zwischenzeit betrifft, bis die Krise überwunden ist, da bin ich ehrlich gesagt noch ziemlich überfragt. Wir werden weiterhin versuchen, unsere Kontakte aufrecht zu erhalten, soweit das noch möglich ist, und uns auf die Suche nach Formaten begeben, die eine gute Kommunikation zulassen und gleichzeitig aber auch die Hoffnung aufrechterhalten, dass wir diese Zeit gut überstehen. Begegnung ist einfach der Kern des SeniorenNetzwerkes.

Das heißt, sie erleben Covid-19 als Stresstest für das Quartier Köln-Dünnwald?

Ja, es ist definitiv eine schwere Zeit für alle. Ich denke, es müssen sehr viele Opfer gebracht werden. Doch so wie ich die Dünnwalder*innen bisher kennengelernt habe, sind die ziemlich zäh. Ich glaube, die stehen das durch und sind nachher gestärkt. Ich glaube, dass sich aus der Krise sehr viel Hoffnung und sehr viel Neues entwickeln kann.

Christine Bürger arbeitete nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften zunächst einige Jahre in der Dokumentarfilm-Produktion, bis sie ihren Hang zum Sozialen schließlich in der Senior*innenarbeit weiterverfolgte. Seit zwei Jahren arbeitet sie als SeniorenNetzwerk-Koordinatorin bei der Christlichen Sozialhilfe Köln e.V. in Köln-Dünnwald.