Published June 19th, 2020

Freiräume werden neu erobert

Open spaces are being re-conquered

Podcast in German: Brigitte Gans und Eva Jüsten, April 29 2020

Important functions of public space are breaking down due to the pandemic. The everyday life of many people in Munich is changing: some are conquering new spaces in the city and enjoying the low-traffic streets in the neighborhoods. The others are eagerly waiting for normality to return in order to use public spaces as usual. The fields of work of our discussion partners Brigitte Gans and Eva Jüsten are also characterized by the crisis: festivals, discarded rubbish and noise in public spaces are no longer the central fields of intervention of AKIM (all-party conflict management in Munich), but rather social distancing regulations.

Wichtige Funktionen des öffentlichen Raums brechen aufgrund der Pandemie weg und der Alltag vieler Menschen in München ändert sich: Die einen erobern neue Räume in der Stadt und genießen die verkehrsarmen Straßen in den Quartieren. Die anderen warten sehnlichst darauf, dass die Normalität wieder zurückkehrt, um öffentliche Plätze wie gewohnt nutzen zu können. Auch die Arbeitsfelder von unseren Gesprächspartner*innen Brigitte Gans und Eva Jüsten sind krisengeprägt: Während Feiern, Lärm und Müll im öffentlichen Raum die zentralen Einsatzfelder von AKIM (Allparteiliches Konfliktmanagement in München) darstellen, überlagert sich diese Problematik durch  die Akzeptanz und das Einhalten sozialer Distanzierung.

Sketches from the interview with Brigitte Gans und Eva Jüsten, designed by Angelina Bolten for What/Next 2020

Viele Menschen erkunden Gegenden, die sie eigentlich nicht so gut kennen.

Eva Jüsten 04/2020

Die Krise verdeutlicht, wer auf den öffentlichen Raum  als Bühne und Ort des Austausch und der Begegnung in München angewiesen ist. Wohnungsflüchter, Obdachlose, Jugendliche oder junge Menschen nutzen den öffentlichen Raum normalerweise als zentrale Kontakt- und Aufenthaltspunkte. Viele dieser Nutzer*innengruppen hängen darüber hinaus ökonomisch vom öffentlichen Raum ab. Das Wegbrechen dieser Funktionen birgt viel Konfliktpotential und Frust und bedroht die Existenz dieser Menschen, die die öffentlichen Räume zur Sichtbarkeit und als Orte gesellschaftlicher Teilhabe dringend brauchen. 

Räume erfahren eine Umnutzung: Die Gesprächspartner*innen stellen fest, dass sich viele Menschen Freiräume neu erschließen. Straßenzüge, die beispielsweise unter normalen Bedingungen besonders verkehrsbelastet sind, sind plötzlich ruhige Fahrradstraßen und Orte der Erholung. Tradierte Raumnutzungsweisen ändern  sich und viele Orte erhalten eine neue Qualität. Das ist eine positive Entwicklung und führt zu einer stärkeren Auseinandersetzung der Menschen mit ihrem Nahumfeld und ihrer Stadt.

Leben und leben lassen und da den wechselseitigen Dialog herzustellen.

Brigitte Gans 04/2020

Die Arbeit von AKIM verändert sich: AKIM setzt sich für die Interessen und Belange der verschiedenen Nutzer*innengruppen öffentlicher Räume ein und versucht zwischen ihnen zu vermitteln. Konfliktauslöser und Einsatzfelder sind normalerweise Feierende, Lärm, Müll oder unerwünschte Verhaltensweisen auf öffentlichen Plätzen. Durch die Corona Pandemie und den damit verbundenen Kontakt- und Aufenthaltsbeschränkungen gibt es diese Einsatzfelder aktuell nicht. Der Fokus liegt jetzt darauf, Toleranz und den respektvollen Umgang miteinander zu bewahren und einen Dialog herzustellen, wenn Konflikte – etwa in Bereichen der Abstandsregelung – aufkommen.

Dass man sich selber was sucht und selber was stattfinden lässt, ist vielleicht auch eine neue Erfahrung. Es wäre schön, wenn davon was bleiben würde.

Brigitte Gans 04/2020

What next? Die Gesprächspartner*innen betonen: Die Krise zeigt, wie fragil der öffentliche Raum ist. Wir müssen diesen als Ort der Aushandlung und gesellschaftlicher Teilhabe bewahren und pflegen.

Dr. Eva Jüsten ist seit 1994 als Juristin in verschiedenen Referaten der Landeshauptstadt München tätig. Seit 2010 ist sie Leiterin der Stelle für Gemeinwesenmediation und seit 2015 der Abteilung Bürgerschaftliches Engagement und Konfliktmanagement, bei der auch AKIM (Allparteiliches Konfliktmanagement in München) angesiedelt ist.

Brigitte Gans ist Diplom-Geographin. Nach Zwei Jahrzehnten lag ihr Schwerpunkt auf Mediation und Moderation von strittigen Planungsprozessen im öffentlichen Raum und Konflikten in Organisationen. 2015 kam sie zur Stadt München, um AKIM aufzubauen. Sie ist für die konzeptionelle Entwicklung und Koordination verantwortlich.