Published April 12th, 2024

Transformatives Forschen in Mittelstädten

Transformative Research in Medium-Sized Cities

Podcast in German: Lea Fischer, Marie Graef, Julia Shapiro, Thomás Vellani
March 13 2024

Small and medium-sized cities were both the subject and the site of research and development in the Research Training Group “Medium-Sized Cities as Co-Participation Cities”. In addition to the group of twelve doctoral students, a network of 40 small and medium-sized cities was established and developed into a space of discussion and resonance for the specific concerns and resources of these cities. The transformative work and knowledge transfer was based on an agent-based approach, which allowed the doctoral students to work directly in the medium-sized cities. Lea Fischer, Marie Graef, Julia Shapiro and Tomás Vellani talk to Agnes Förster about their experiences with iterative process design within the programme. They reflect on their methods, perceived roles, and anticipated impacts.

Kleine Mittelstädte waren sowohl Gegenstand als auch Ort des Geschehens für das Forschen und Entwickeln im Graduiertenkolleg „Mittelstadt als Mitmachstadt“. Neben der Gruppe von zwölf Doktorierenden wurde ein Netzwerk aus 40 kleinen Mittelstädten aufgebaut und dieses zu einem Diskussions- und Resonanzraum für die besonderen Anliegen wie auch Ressourcen dieser Städte entwickelt. Transformatives Arbeiten und Wissenstransfer basierten auf einem Agent:innenansatz, mit dem die Doktorierenden direkt in den Mittelstädten wirkten. Lea Fischer, Marie Graef, Julia Shapiro und Tomás Vellani tauschen im Gespräch mit Agnes Förster ihre Erfahrungen zu den iterativen Prozessgestaltungen im Rahmen des Kollegs aus. Sie reflektieren ihre Methoden und wahrgenommenen Rollen und nehmen vermutete Wirkungen in den Blick.

Der Weg entsteht beim Gehen. Die Dissertationsprojekte im Rahmen des Kollegs „Mittelstadt als Mitmachstadt“ sind in offenen Prozessen im Dialog zwischen Forschenden und den kooperierenden Städten entstanden. Das transformative Forschen verknüpft dabei verschiedene Zugänge zu den Städten – vereinfacht gesagt Hören, Wirken und Lernen. Diese drei Modi wurden von den Forschenden sehr unterschiedlich eingesetzt und kombiniert.

Für mich war die absolute Schlüsselmethode das ethnografische Arbeiten im Feld. Daher habe ich Praktika in der Verwaltung gemacht. Über dieses Hören, Lernen und immer wieder Reflektieren habe ich dann gemeinsam mit den Verwaltungsmitarbeitenden und den Klimaaktivist:innen vor Ort eine Intervention aufbauen können.

Marie Graef 03/2024

Meine räumliche Intervention, das war eine drehbare Holzbühne, die plötzlich für sechs Wochen auf dem Platz der Stadt stand, hatte eine Wirkung auf die Menschen. Die Neuruppiner:innen sind total neugierig geworden auf mein Projekt und haben mir viel erzählt.

Julia Shapiro, 03/2024

Es gibt zwei Aspekte, die für mich im Sinne von Hören, Wirken und Lernen wichtig sind. Zuerst die Wichtigkeit von Hören, ich meine ein intendiertes Zuhören, als Modus. Wirksame Impulse benötigen ein gutes Verständnis der Ausgangslage und der Bedarfe vor Ort. Zweitens soll man Forschung mit Hören, Wirken und Lernen als iterativen Prozess verstehen.

Tomás Vellani 03/2024

Die Entwicklungsoffenheit der Dissertationen ist zugleich eine besondere Herausforderung. Offenheit und Pragmatismus sind beide für das Gelingen einer Dissertation notwendig. Gerade, wenn man die methodischen Erkenntnisse erweitern möchte und an die Grenze der eigenen Disziplin geht, ist es anspruchsvoll, die Orientierung zu behalten. Hier war der Austausch im Kolleg sehr wertvoll. Die von den Graduierten entwickelten und eingesetzten Methoden müssen dabei zwei Perspektiven Stand halten: der Forschungs- und der Praxisperspektive. Zwischen diesen beiden Welten können dabei auch Spannungen und Konflikte entstehen.

Wir haben immer gesagt, Ihr seid keine Dienstleister für Beteiligungsprozesse in Mittelstädten. Sondern Ihr habt eine eigene Agenda und eine gewisse Autonomie im Feld.

Agnes Förster 03/2024

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es nicht nur wichtig ist, ein eigenes Forschungsinteresse zu verfolgen, sondern das auch gegebenenfalls anzupassen. Ich bin zunächst mit einem anderen Thema gestartet und wollte etwas zu suffizienter Stadtentwicklung machen. Dann habe ich gemerkt, das ist vor Ort nicht so richtig Thema. Dann musste ich nochmals umschwenken.

Marie Graef 03/2024

Mit dieser Offenheit wird zugleich eine ganz große Transparenz in den Prozessen notwendig. Das bedeutet, dass man jeden Schritt, den man geht und immer wieder neu austariert, ganz stark transparent macht, begründet und kommuniziert in die verschiedenen Richtungen im Kolleg.

Lea Fischer 03/2024

Der Wechsel zwischen den Modi Hören, Wirken, Lernen im Verlauf der eigenen Forschung bringt nicht nur verschiedene Rollen der Doktorierenden mit sich, sondern er ist auch zeitintensiv. Denn er erfordert jeweils eine Neuorientierung, quasi ein Innehalten und Luft holen. Transformativ ausgerichtete Dissertationen benötigen daher häufig mehr Zeit – und das wird von der üblichen Forschungsförderung zumeist nicht abgedeckt.

Abschließend diskutierten wir über die wahrgenommenen Impulswirkungen und die Bedeutung des Begriffs „Mittelstadt als Mitmachstadt“ für die Arbeit in den kleinen Mittelstädten.

Das transformative Forschen im Kolleg konnte nur Impulse entwickeln. In einzelnen Städten waren es kleine Impulse. Im Kolleg waren aber viele Beteiligte, die zwar nicht an einem Ort anhaltend wirkten, aber doch einen Resonanzraum bildeten, um diese Erfahrungen weitergehend nutzbar zu machen.

Agnes Förster 03/2024

Bei den Verwaltungsakteuren kam der Slogan „Mittelstadt als Mitmachstadt“ total gut an. Damit hatte ich eine richtige Aufmunterung im Gepäck. Das ging dann eher in die Richtung „Macht das Mitmachen möglich“. Und damit konnten sich alle sehr stark identifizieren und es war sehr oft ein sehr schöner Gesprächsaufhänger, um die individuellen Visionen der Interviewpartner:innen herauszufinden.

Lea Fischer 03/2024

Das Slogan „Mittelstadt als Mitmachstadt“ war gut, weil das Wort Mittelstadt mit drin war. Und oft gibt es mit Mittelstädten nicht so diese Utopie. Wenn wir an Großstädte denken, denken wir an das prickelnde, aufregende Leben, viel Kultur. Wenn wir an Kleinstädte denken, haben wir so ein idyllisches Bild. Was ist, wenn wir an Mittelstädte denken – haben diese auch ein Ideal? Mittelstädte können wir wirklich verhältnismäßig gut gestalten als Bürger:in

Marie Graef 03/2024

Der Sammelband zum Graduiertenkolleg mit dem Titel „Transformation von Mittelstädten. Über neue Kulturen des Stadtmachens“ ist im transcript Verlag erschienen und Open Access verfügbar

Lea Fischer, B. Sc. Raumplanung / M. A. Philosophie und Politikwissenschaft, ist Doktorandin im Graduiertenkolleg Mittelstadt als Mitmachstadt. Sie promoviert am Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung der RWTH Aachen University. Sie forscht zur Interaktion zwischen planender Verwaltung und Bürgerschaft.

Marie Graef ist Sozialwissenschaftlerin und Doktorandin im Graduiertenkolleg Mittelstadt als Mitmachstadt. Sie promoviert am Lehrstuhl für Technik- und Umweltsoziologie der Universität Stuttgart. Sie forscht zu kommunalen Transformationsstrategien der Verwaltung im Bereich Klimaschutz.

Julia Shapiro hat Architektur studiert und ist Doktorandin im Graduiertenkolleg Mittelstadt als Mitmachstadt. Sie promoviert am Lehrstuhl für Stadtentwicklung und Planungstheorie der RWTH Aachen University und forscht zum Zusammenhang zwischen Narrativen und Raumkultur.

Tomás Vellani war Stipendiat im Graduiertenkolleg Mittelstadt als Mitmachstadt, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation der Universität Potsdam. Er erforschte die Governance der Digitalisierung in Kommunalverwaltungen. Heute arbeitet er in der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin.